Mama, ich habe ADHS! Bitte hilf mir!
AD(H)S? Gibt es doch gar nicht! Tabletten? Helfen nur der Pharmaindustrie! Ohje, wie oft hab ich das schon gehört und gelesen. Wie die meisten Leser meiner Blogbeiträge wissen, bin ich kein Arzt, schöpfe aber aus dem reichhaltigen Erfahrungsschatz meiner Familie, den Recherchen für meine veröffentlichten Artikel, dem Meinungsaustausch in meinen Gruppen und aus dem eigenen Erleben, denn ich bin betroffen.
Und wie es das gibt! Und wer’s glaubt, fragt: Kann man eigendlich AD(H)S ohne Medikamente behandeln? Meine ganz persönliche Meinung dazu: Ja, man kann AD(H)S auch ohne Medikamente behandeln, aber es kommt auf die Ausprägung an. Als Betroffener kann ich nur mutmaßen, dass sich viele Angehörige oder auch Eltern nicht darüber bewusst sind welche Folgen ein unbehandeltes AD(H)S mit sich bringt. Deshalb plädiere ich grundsätzlich dafür offen in alle Richtungen zu bleiben und Medikamente nicht von Grund auf abzulehnen.
Ich bin leider kein Kind der Moderne, sondern eines aus der Zeit, in der man noch „Indigo“ zu uns sagte. Meine persönliche Historie war von einem ständigen auf und ab geprägt. Die Störung hat mir die Träumervariante eingebracht, die sich zwar in der Innenwirkung und der persönlichen Wahrnehmung nicht von dem Zappelphilipp unterscheidet, aber auch niemand vermutete, es gäbe eine Notwendigkeit dies zu behandeln. Die Quittung hatte ich letztendlich selber zu zahlen.
Sie kam als ein roter Faden daher, der sich durch mein ganzes Leben zog. Eine Aneinanderreihung des Scheiterns von Projekten. Immer intelligent begonnen und zermürbt beendet. Erst im zarten Midlife-Alter von 39 Jahren wurde ich endlich diagnostiziert und konnte in einen jahrelangen Therapiemarathon meine Hürden weitestgehend überwinden.
Es bleibt für mich persönlich die traurige Erkenntnis: Hätte ich nicht spätestens mit 39 Jahren auch die Therapie mit Medikamenten begleitet, so hätte ich niemals durchgehalten diese Hürden zu verstehen. Ich wäre noch heute ein bemitleidenswertes Geschöpf.
Andere trifft es leider noch unbarmherziger. Auf der Suche nach dem Ausgleich zum Chaos versinken sie im Drogensumpf oder der Depression. Angesichts dieser schlechten Aussichten, auf ein normales Leben, frage ich mich ob die Gabe von Medikamenten nicht in den meisten Fällen angebracht wäre?
Also, wie ist das denn nun mit den Medikamenten? Soll ich mein Kind mit Drogen voll stopfen? Bei Nichten, denn in dieser Frage steckt eine gewagte These. Ist Ritalin und Co. eine Droge? Nein, natürlich nicht! Was andere aufputscht, wenn auch mit vielen zusätzlichen Nebenwirkung, wirkt bei AD(H)S’lern regulierend und ausgleichend auf den zu niedrigen Dopaminspiegel. Denn es liegt eine körperliche Störung zu Grunde, die nicht verhandelbar ist.
Nun, es gibt auch Ausnahmen. Mir begegnete erst kürzlich eine aufopfernde Mutter und Hausfrau, die eine AD(H)S Tochter großgezogen hat ohne Medikamente. Ihre Geschichte steckte allerdings voller Mühen und Rückschläge. Das Fazit: nachdem die Tochter erwachsen war, hat sie sich selber für eine Medikation entschieden. Darüber hinaus gibt es aber auch schwache Ausprägungen, für die es ausreichend ist, eine Verhaltenstherapie anzusetzen, damit der Betroffene Erwachsene oder das betroffene Kind mit den Schwächen der Störung umgehen kann (Coaching).
Deshalb grundsätzlich mein Appell an Eltern: begebt euch in die Hände von wirklichen Spezialisten, holt euch eine zweite Meinung ein, von einen zweiten wirklichen Spezialisten (wenn es beruhigt). Aber nehmt die Diagnose und die Empfehlung zur Medikamentenverabreichung nicht auf die leichte Schulter. Denn dann bleibt der Satz:
„Danke, Mama!“